Die Gletscher-Initiative auf dem Prüfstand

    Die Initianten wollen mit ihrem Volksbegehren einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die Gegner sehen darin nur neue Verbote, die nichts bringen. Die «Umwelt Zeitung» hat zwei prominente Exponenten beider Lager gebeten, ihre Argumente vorzutragen. Urteilen Sie selbst.

    Pro

    Die Vorteile der Gletscher-Initiative

    (Bild: © Flurin Bertschinger) Einreichung der Gletscher-Initiative Ende November 2019.

    Die 2019 eingereichte Gletscher-Initiative wurde am 11. August vom Bundesrat mit einem Gegenentwurf an das Parlament überwiesen. Auch wenn die Initiantinnen und Initianten begrüssen, dass sich der Bundesrat für einen wirksamen Klimaschutz aus- spricht, wollen sie trotzdem an der Gletscher-Initiative festhalten. Denn wirksamer Klimaschutz wird nur erreicht, wenn es keine Schlupflöcher gibt.

    Die Schweiz hat das Pariser Übereinkommen ratifiziert. Die Gletscher-Initiative will die Schweiz in die Pflicht nehmen und die Ziele des Abkommens in der Verfassung verankern.

    Einfache, klare und faire Forderungen
    Die Gletscher-Initiative ist in ihren Forderungen einfach, klar und fair: Sie will bis spätestens 2050 netto Null Treibhausgasemissionen, den konsequenten Ausstieg aus den fossilen Energien sowie eine mindestens lineare Absenkung der Treibhausgasemissionen bis zum Zieljahr. Letzteres bedeutet, dass Zwischenziele definiert würden, um das zur Verfügung stehende CO2-Budget einzuhalten.

    Chancen für die Wirtschaft
    Eine gesunde Wirtschaft braucht ein gesundes Klima. Die Klimakrise gefährdet unseren Wohlstand und unsere Lebensgrundlagen. Die Gletscher-Initiative bekämpft nicht nur die Ursachen der Klimakrise. Mit dem Ausstieg aus der Nutzung der fossilen Energie beenden wir die energetische Abhängigkeit von Erdöl- und Erdgasstaaten. Die 8 bis 11 Milliarden Franken, die wir heute für Erdöl- und Erdgasimporte ausgeben, schaffen künftig Wertschöpfung und Arbeitsplätze im Energie- und Technologiesektor in der Schweiz. Das langfristig festgelegte Zieljahr für den Ausstieg ermöglicht zudem Investitionssicherheit für Schweizer Unternehmen.

    Mehr Planungssicherheit für uns alle
    Die Formel ist einfach: Wir müssen beenden, was schadet – und nicht das, was das Schadende verursacht. In diesem Sinne: Wir müssen das fossile Zeitalter beenden, nicht das Autofahren. Der Klimaschutz ist eine Herkulesaufgabe, die wir nur als Gesamtgesellschaft bewältigen können. Der Klimaschutz bildet die wichtigste und sinnvollste Investition in zukünftige Generationen der Schweiz, was uns zusammenrücken und Partikularinteressen vergessen lassen sollte. Mit ihren Forderungen gibt die Gletscher-Initiative klare und verbindliche Rahmenbedingungen vor, an denen sich Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Forschung und Wissenschaft orientieren können. Der in der Gletscher-Initiative vorgesehene mindestens lineare Absenkpfad für die Treibhausgas-Emissionen ermöglicht das Festsetzen von Zwischenzielen, was für alle Planungssicherheit bedeutet.

    Breit abgestützt und parteiunabhängig
    Neben den inhaltlichen Forderungen der Gletscher-Initiative spricht auch der Kreis der Unterstützerinnen und Unterstützer für die Initiative. Das Initiativkomitee ist zusammengesetzt aus Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, Politik, Wissenschaft, Wirtschaft sowie weiteren engagierten Bürgerinnen und Bürger. Für die Initiative wurde ein eigenständiger Trägerverein gegründet – der Verein Klimaschutz Schweiz. Seit Tag 1 erfährt dieser enorm viel Unterstützung, was ihm hilft, parteiunabhängig und im Sinne der Unterstützerinnen und Unterstützer der Gletscher-Initiative zu agieren.

    Viele Mit-Bürgerinnen und -Bürger sind sich einig, dass etwas in Sachen Klimaschutz geschehen muss. Das zeigt die 10. Ausgabe des Kundenbarometers erneuerbare Energien der Universität St. Gallen wie auch die Nachbefragung zur CO2-Gesetz-Abstimmung (Vox-Analyse). 68 Prozent aller Abstimmenden wünschen sich, dass jetzt entschiedener gegen den Klimawandel vorgegangen wird. Die Gletscher-Initiative gibt den klaren und konsequenten Weg dafür vor.

    Sophie Fürst
    Kampagnenleiterin der Gletscher-Initiative sowie Geschäftsleiterin des Vereins Klimaschutz Schweiz. Der Verein wurde am 25. August 2018 am Fusse des Steingletschers von über 80 Personen gegründet und zählt rund 2400 Mitglieder.


    Contra

    Verbotsapostel und grüne Orakel

    (Bild: pixabay) Wo bleibt der Durchbruch? Der Anteil der Solar- und Windkraft beträgt lediglich 4 Prozent.

    Die Gletscher-Initiative setzt auf Verbote statt auf Wettbewerb und Innovation. Wer eine ehrliche und wirksame Klimapolitik will, muss die Initiative ablehnen.

    Das Stimmvolk hat die grüne Welle gebrochen. Die Bevölkerung stellte sich erst kürzlich gegen die grüne Verbotspolitik und versenkte das wirkungslose CO2-Gesetz an der Urne. Die Politik des Elfenbeinturms wurde auf den Boden der Realität geholt. Das Verdikt des Volkes war niederschmetternd für die Beschwörer des klimabedingten Weltuntergangs. Doch schon in wenigen Monaten wird sich das Stimmvolk einer weiteren Verbotsvorlage entgegenstellen müssen.

    Unberechenbare Zukunft
    Statt die Absage des Volkes gegenüber Steuern und Verboten anzuerkennen, drängen die Initianten der Gletscher-Initiative zu einem radikalen Verbot von fossilen Energieträgern bis 2050. Dabei müssen sie ein grünes Orakel befragt haben. Denn mit Ausnahme der Verbotsapostel weiss niemand, wie die Lage in einem Jahrzehnt, geschweige denn in 29 Jahren aussehen wird. Die Beschwörer des Weltuntergangs sind sich sicher, dass in wenigen Jahren vollständig auf fossile Ressourcen verzichtet werden kann. Doch dieselben Kreise proklamieren seit über einem Jahrzehnt den baldigen Durchbruch der Solar- und Windkraft – aktuell beträgt deren Anteil jedoch lediglich 4 Prozent der gesamten Stromproduktion. Auf den laut angekündigten Durchbruch wartet die Bevölkerung bislang vergebens. Kein Wunder, blockieren ausgerechnet die Befürworter einer radikalen Energiewende andauernd die Realisation von Wind- und Wasserkraftanlagen. Nach der gescheiterten Energiepolitik aufgrund der vorschnellen Aufgabe der CO2-neutralen Kernkraft soll der Stimmbürger nun eine weitere Palette von sicheren Energieträgern verbannen.

    Global denken
    Dabei braucht die Schweiz weder grüne Orakel noch Verbotsapostel. Denn durch attraktive Rahmenbedingungen gedeihen Technologien und alternative Energieträger ohne Zutun eines paternalistischen Staates. Dazu gehören auch die hochsicheren Kernkraftwerke der neusten Generation. Die Debatte darüber muss nüchtern und rational geführt werden. Dem globalen Klima hilft es kaum, wenn sich die Schweiz vom Wohlstand verabschiedet und den Verzicht predigt, während für aufstrebende Staaten der Verzicht niemals eine reale Option sein wird. Die Schweiz muss deshalb mit exportfähigen und innovativen Produkten ihren globalen Beitrag leisten können. Es sei daran erinnert, dass China in einem halben Tag so viel CO2 ausstösst wie die Schweiz in einem ganzen Jahr.

    Das überladene CO2-Gesetz ist insbesondere an seiner Wirkungslosigkeit gescheitert. Das liberale Gegenkomitee prangerte zurecht an, dass der Fokus auf inländische Kompensationen der Herausforderung des Klimawandels nicht gerecht wird. Nun findet sich dieselbe symbolische Massnahme auch in der Gletscher-Initiative wieder. Gemäss der Initiative dürfen die inländischen Emissionen nur im Inland kompensiert werden – eine äusserst protektionistische und nationalistische Massnahme. Wer wirksamen Klimaschutz will, setzt den Franken dort ein, wo dieser die grösste Wirkung entfaltet. Mit den bereits hohen inländischen Umweltstandards ist das Einsparen einer Tonne CO2 in der Schweiz mit einem massiv höheren Aufwand verbunden als im Ausland. Wer sich aber wie die Verbotsapostel gegen wirksame CO2-Kompensationen im Ausland stellt, verabschiedet sich vom ehrlichen Klimaschutz.

    Wettbewerb schafft Fortschritt
    Manche mögen behaupten, die Gletscher- Initiative habe auch etwas Gutes, da sie Technologien und Innovationen staatlich fördert. Doch die Initiative verpasst es, die Dimension und Ursache der Innovation in der Gänze zu erfassen. So soll auf mittelalterliche Instrumente der Innovations- und Technologieförderung zurückgegriffen werden. Dabei wäre das wirksamste Instrument der Rückzug des aufgeblähten Staates. Denn Wettbewerb und unternehmerische Freiheit schaffen Innovation. Der dirigistische Staat und Verbote hingegen erdrücken innovatives Unternehmertum und torpedieren den Fortschritt.

    Trotz der Absage an das freiheitsfeindliche CO2-Gesetz wird das Stimmvolk die nächste grüne Bevormundungsinitiative bodigen müssen. Denn die Gletscher-Initiative reiht sich ein in die Liste der gescheiterten Symbolinitiativen von Umverteilungsjüngern und Klimapredigern. Obwohl die Gletscher- Initiative ein globales Problem lösen will, setzt sie auf ein nationales und radikales Verbot – kaum tauglich, um dem steigenden Temperaturanstieg entgegenzutreten. Ein Ketzer, wer an innovative Lösungen und die Leistungsfähigkeit von Unternehmen und freien Bürgern glaubt.

    Dr. Adrian Schoop
    Unternehmer und Aargauer FDP-Grossrat

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