«Manchmal müssen wir auch unbequeme Wege gehen»

    Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL in Frick ist eine der weltweit führenden Forschungseinrichtungen zur biologischen Landwirtschaft. Das FiBL bearbeitet gegenwärtig über 500 Forschungs- und Beratungsprojekte, die ein breites Themenspektrum abdecken. Zentrales Element der Aktivitäten des FiBL ist die Zusammenarbeit mit der Praxis. Jürn Sanders, Vorsitzender der Geschäftsleitung und der Direktion FiBL Schweiz, gibt Einblick in das breitgefächerte Tätigkeitsfeld der landwirtschaftlichen Forschung und die zahlreichen nationalen und internationalen Projekte.

    (Bild: Thomas Alföldi) «Hier fühlen wir uns Zuhaue»: Das FiBL zog vor 25 Jahren nach Frick, wo es Erfolgsgeschichte schrieb.

    Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL wurde vor 50 Jahren in der Schweiz gegründet. Wieso gerade in unserem Land?
    Jürn Sanders: Das ist eine gute Frage. Es scheint, als ob die Schweiz historisch gesehen eine gewisse Anziehung auf Reformbewegungen ausübt. Wie und warum das FiBL in der Schweiz gegründet wurde, ist ziemlich gut dokumentiert und hängt mit einigen Pionieren zusammen. Dazu gehören Philippe Matile, Professor für Pflanzenbiologie an der ETH und Nationalrat Heinrich Schalcher, beide zuerst Wegbereiter und später Stiftungsräte des FiBL, und dann natürlich die viele Biobäuerinnen und -bauern, Vermarkterinnen und -vermarkter und Forschende, die 1973 eigenständig das FiBL als private Stiftung gründeten. Das FiBL startete im April 1974 mit der Anstellung von Hartmut Vogtmann als erstem Mitarbeiter und gleichzeitig erstem Direktor auf dem Bruderholzhof in Oberwil bei Basel.

    (Bild: zVg) Jürn Sanders, Vorsitzender der Geschäftsleitung und der Direktion FiBL Schweiz: «Auch wenn der Biolandbau per se zu einer höheren biologischen Vielfalt beiträgt, gibt es auf Biobetrieben häufig noch ein Verbesserungspotenzial.»

    Welche Bedeutung hat der Standort Frick im Kanton Aargau?
    Hier fühlen wir uns zu Hause. Die Lage am Rand der Ortschaft, mit Blick auf die Jurahügel, ist traumhaft. Hier durften wir zudem eine Erfolgsgeschichte schreiben: Als das FiBL vor 25 Jahren aus dem Baselland ins aargauische Frick zog, bestand das Team aus wenigen Dutzend Mitarbeitenden. Heute zählen wir über 300 Mitarbeitende. Das hängt zum einen mit der immer erfolgreicher werdenden Aquise von Projekten im Privatsektor zusammen, zum anderen mit der zunehmenden Unterstützung durch die öffentliche Hand. 2014 beschloss der Bundesrat eine Aufstockung der Bundesfinanzierung für das FiBL Schweiz ab 2016. Ebenfalls 2016 entschied sich der Kanton Aargau, das Institut mit elf Millionen Franken aus dem Swisslos-Fonds für den weiteren Ausbau seiner Forschungsinfrastruktur zu unterstützen. Die bauliche Erweiterung des FiBL-Campus wurde 2022 feierlich eingeweiht. Dazu zählen das Forschungsgewächshaus und der Ausbau der Forschungslabors, der moderne und tiergerechte Forschungsstall und das neue Tagungs- und Bürogebäude mit dem grosszügigen FiBL-Restaurant. Dieser Erweiterungsbau ermöglichte es, die personellen Kapazitäten noch weiter auszubauen, um so dem steigenden Forschungsbedarf in der Biolandwirtschaft und dem Biomarkt gerecht werden zu können. Zentrales Element der Aktivitäten des FiBL bleibt auch heute noch die Zusammenarbeit mit der Praxis.

    Was sind bis jetzt die grössten Errungenschaften des FiBL?
    In den Anfängen des FiBL war eine grosse Errungenschaft die Biorichtlinien, die heute weltweit dazu führen, dass «Bio» fast überall ein geschützter Begriff ist. «Bio» darf für Lebensmittel nur dann verwendet werden, wenn bei der Produktion fix definierte Vorschriften eingehalten werden, was von einer unabhängigen Kontrollstelle überprüft werden muss. Die Biorichtlinien, die in der Schweiz vom FiBL gemeinsam mit Demeter, Biofarm, Bioterra und Progana entwickelt wurden, dienten zudem als Grundlage für die internationalen Biolandbau-Richtlinien von 1980, der internationalen Vereinigung IFOAM – Organics International.
    Von damals bis heute ist es die gelungene Vereinigung von Grundlagenforschung und praxisnaher Forschung auf Betrieben, gemeinsam mit Landwirten, Verarbeiterinnen und weiteren Akteuren.

    Das FiBL setzt sich für den modernen Biolandbau mit zahlreichen Forschungsprojekten, Bildungsaktivitäten und Beratungswissen ein. Können Sie Ihre Aktivitäten respektive Kern-Missionen kurz in einem Gesamtüberblick erklären?
    Das FiBL hat das Ziel, durch Forschung, Wissenstransfer und Beratung, praxisorientierte Projekte und Öffentlichkeitsarbeit den biologischen Landbau entlang der gesamten Wertschöpfungskette des Ernährungssystems kontinuierlich weiterzuentwickeln. Gemeinsam mit Partnerinnen und Partnern aus der Praxis, anderen Forschungs- und Beratungseinrichtungen, öffentlichen Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen in Europa und anderen Kontinenten werden Projekte mit dem Ziel bearbeitet, weltweit die Ernährung und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen durch biologischen Landbau und ein nachhaltiges Ernährungssystem zu sichern.

    Was sind die Vorzüge des modernen Biolandbaus und wie weit ist er in der Schweiz fortgeschritten?
    Der Biolandbau steht für ein ganzheitliches Konzept der Landnutzung mit dem Anspruch, in besonderer Weise die Belastungsgrenzen der Natur zu berücksichtigen. Die Ausnutzung ökologischer Systemzusammenhänge, ein möglichst geschlossener Nährstoffkreislauf und die Substitution externer durch betriebsinterne Produktionsmittel stellen dabei wichtige Eckpfeiler des Produktionssystems dar. Der Biolandbau zeichnet sich also durch seinen Systemansatz und seine umfassende Betrachtungsweise aus. Dadurch wird die Umwelt weniger belastet. Zudem das zeigen viele Studien, dass Bio-Lebensmittel zahlreiche Vorteile für die Ernährung aufweisen – beispielsweise wie sie weniger mehr sekundäre Pflanzenstoffe, mehr ungesättigte Fettsäuren enthalten und kaum Pflanzenschutzmittel- und Nitratrückstände aufweisen.

    (Bild: Thomas Alföldi) Das Herzstück der FiBL Arbeit – die Praxis: Den wahren Test bestehen neue Forschungsergebnisse, Betriebsmittel und andere Innovationen erst dann, wenn sie auch auf dem Feld oder im Stall der Landwirtinnen und Landwirte funktionieren.

    Was ist das Ziel der neuen Hülsenfrucht-Plattform Legume Hub SWISS?
    Das Ziel ist es, das Wissen zu Anbau und Verarbeitung von Hülsenfrüchten in der Schweiz auszubauen. Gerade im Anbau erfordern Hülsenfrüchte viel Wissen und Fingerspitzengefühl. Daher werden sie in den Fruchtfolgen leider oft ausgelassen. Es braucht darum mehr krankheitsresistente Sorten und mehr Wissen darüber, wie man Hülsenfrüchte standortgerecht anbaut. Auch zum Erntegut braucht es mehr Wissensaustausch, denn es muss den Qualitätsanforderungen der Verarbeitung entsprechen und zu den Bedürfnissen des Marktes passen. Deshalb bietet die online-Plattform Informationen für alle, die mit Proteinpflanzen in den Bereichen Landwirtschaft, Industrie, Handel, Wissenschaft und Politik arbeiten.

    Hülsenfrüchte sind wertvolle Proteinlieferanten für Mensch und Tier. Welche Bedeutung haben sie momentan und werden sie künftig haben?
    Viel billiger als Fleisch, aber genauso nahrhaft – das machte die Hülsenfrüchte früher zum Arme-Leute-Essen. Mit steigendem Wohlstand rutschten sie dann vom Teller und gerieten immer mehr in Vergessenheit. Mit dem Trend zu mehr pflanzlicher Ernährung geraten Hülsenfrüchte derzeit wieder in den Fokus. Ausserdem haben sie einen geringeren ökologischen Fussabdruck als die meisten anderen Lebensmittel. Das heisst, dass die wachsende Weltbevölkerung mit mehr Hülsenfrüchten nachhaltiger ernährt werden könnte. Hülsenfrüchte verbessern zudem die Bodenqualität. Die kleinen Kraftpakete sind die einzige Pflanzengruppe, die in der Lage ist, den in der Luft reichlich vorhandenen Stickstoff zu binden und so ihren eigenen Stickstoff-Dünger zu produzieren. Aber nicht nur der Nachhaltigkeitsfaktor macht sie attraktiv: Hülsenfrüchte sind preiswert, leicht zu lagern, haben einen hohen Nährwert und die Fähigkeit, das Mikrobiom des Bodens zu verbessern.

    Welches sind momentan die wichtigsten und grössten Projekte des FiBL?
    Das FiBL bearbeitet gegenwärtig über 500 Forschungs- und Beratungsprojekte, die ein breites Themenspektrum abdecken. Mit zwei Beispielen möchte ich die Vielfalt illustrieren: In einem Projekt beschäftigen wir uns mit der Förderung der Biodiversität durch regenerative biologische Agroforstwirtschaft in Zentralghana. In einer anderen Arbeit geht es um den Ausstieg aus dem Kükentöten in der Schweizer Bioeierproduktion. Jedes dieser Projekte ist in meinen Augen auf eine bestimmte Art und Weise wichtig.
    Etwas einfacher ist die Frage, welche Arbeiten in den letzten Jahren die grösste Aufmerksamkeit bekommen hat. Hierzu zählt zweifelsohne der DOK-Versuch. Es ist der weltweit bedeutendste Langzeit-Feldversuch zum Vergleich biologischer und konventioneller Anbausysteme. In einem praxisnahen Versuchsdesign wurden im DOK-Versuch unterschiedliche Anbausysteme ohne Unterbruch seit 1978 verglichen. Die Resultate zeigen unter anderem, dass Biolandbau eine hervorragende Leistung in Sachen Klimaresilienz und Biodiversität erbringt.
    Auch unsere Arbeiten zur globalen Ausbreitung des Biolandbaus und seinen Folgen ist international auf ein breites Echo gestossen und hat die Debatte über den Biolandbau geprägt. Wir konnten zeigen, dass eine weltweite Umstellung auf biologischen Landbau zu einem umfassend nachhaltigen Ernährungssystem beitragen kann, wenn sie mit weiteren Massnahmen kombiniert wird. Hierzu zählt etwa die Reduktion des hohen Konsums tierischer Produkte oder die Vermeidung von Nahrungsmittelabfälle. Ein solches Ernährungssystem hat positive Auswirkungen auf wichtige Umweltaspekte wie Treibhausgasemissionen, Überdüngung und Pestizidverbrauch – und führt trotz biologischer Bewirtschaftung nicht zu einem höheren Landverbrauch.

    Welche Rolle spielt die Kooperation mit der Praxis bei den Tätigkeiten des FiBL?
    Sie ist das Herzstück der FiBL Arbeit. Denn den wahren Test bestehen neue Forschungsergebnisse, Betriebsmittel und andere Innovationen erst dann, wenn sie auch auf dem Feld oder im Stall der Landwirtinnen und Landwirte funktionieren. Deshalb pflegt allein das FiBL Schweiz ein Netzwerk von über 600 Praxisbetrieben. Pro Jahr führen wir in der Schweiz besonders im Ackerbau, im Obstbau und in der Tierhaltung Forschungsarbeiten auf rund 200 Betrieben durch. Das FiBL macht aber Praxisforschung nicht nur in der Schweiz, sondern rund um den Globus. Immer in enger Zusammenarbeit mit interessierten, innovativen Landwirtinnen und Landwirten– auf deren Betrieben, in ihren Ställen und auf ihren Feldern.

    Was wünsche Sie sich für die nächsten 50 Jahre des FiBL?
    Das FiBL hat sich in den letzten 50 Jahren auch deshalb so erfolgreich entwickelt, weil die Mitarbeitenden mutig an unorthodoxen Lösungen gearbeitet haben. Weiterhin diesen Mut zu haben, neue und manchmal auch unbequeme Wege zu gehen, das wünsche ich dem FiBL auch für die nächsten 50 Jahre.

    Interview: Corinne Remund

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